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Konflikte aus systemischer Sicht

Systemische Ansätze haben sich mittlerweile in der Erwachsenenbildung durchgesetzt. Grund genug, Konflikte aus systemtheoretischer Sicht zu betrachten. Als einer der bekanntesten deutschen Systemtheoretiker übt Niklas Luhmann grundlegende Kritik an den ansonsten üblicherweise vorgenommen Typologisierungen von Konflikten.

Luhmann meint, dass der Konfliktbegriff durch seine Typologisierung, und seine damit einher gehende Bindung an strukturelle Bedingungen, an Schärfe verliert (Lehnert, 2006, S. 11). Vielmehr fordert Luhmann, dass der Konfliktbegriff von seinem Feld der Erscheinung und seinen Bedingungen unabhängig definiert werden muss (Luhmann, 1984, S. 531). Um Konflikte aus systemtheoretischer Sicht betrachten zu können, werde ich auf den nächsten Seiten zunächst das notwendige Grundlagenwissen der Systemtheorie erläutern. Dies gilt auch als Grundlage für Kapitel 4.1.1.

Systemtheoretische Grundlagen

Systeme

In der Systemtheorie werden 3 unterschiedliche Systeme unterschieden.* Biologische, psychische und soziale Systeme. Bei biologischen Systemen handelt es sich um lebende Körper. Biologische Systeme beziehen sich auf Organismen, Zellen, Nervensysteme und Immunsysteme. Psychische Systeme operieren auf der Basis von Bewusstheit, also auf Gedanken, Intentionen oder Gefühlen eines Individuums. Gedanken folgen wiederum Gedanken. Soziale Systeme bestehen aus rekursiv verknüpften Kommunikationen von psychischen Systemen. Nur das kontinuierliche Prozessieren von Kommunikation erhält ein Soziales System. Bei Systemen handelt es sich also nicht um Organe, Einzelpersonen oder eine Gruppe von Menschen. Als System wird nur die Kommunikation unter ihnen verstanden. Systeme bestehen also aus Operationen, dem Akt der Kommunikation. Diese Operationen dienen dazu, ein System zu produzieren und zu erhalten. Um die Existenz zu sichern, muss ein System permanent kommunizieren, also Anschlussfähigkeit herstellen. Diese Anschlussfähigkeit benötigt Struktur und fordert eine Kontrolle der eigenen Operation (Kommunikation) bezüglich ihrer Resultate (Lehnert, 2006, S. 14f). Ein Wegfall dieser Operation führt zum Auflösen eines Systems. Im Falle eines lebenden Systems bedeutet das den Tod eines Körpers, auf welches sich das System bezieht, oder einfach das Auflösen einer Gruppe, die sich zu einem bestimmten Zweck gebildet hat.

Psychische und soziale Systeme nutzen unterschiedliche Wege, Bewusstheit und Kommunikation, um sich zu reproduzieren. Das bedeutet, dass ein psychisches System, obwohl es Teil eines sozialen Systems ist, immer auch unabhängig des sozialen Systems betrachtet werden muss. Da alle psychischen Systeme getrennt voneinander operieren, bleiben sie für andere psychische Systeme zum Teil immer eine Black Box (Hohm, 2000, S. 91).

System/Umwelt und Beobachtung

Ein wichtiger Aspekt der Systemtheorie ist das Verhältnis eines Systems zu seiner Umwelt. Laut Systemtheorie wird ein Element erst durch den Kontext definiert. Erst der Kontext gibt Sinn. Atomare Partikel zum Beispiel existieren nur durch spezifische Relation zu anderen Partikeln. Genauso verhält es sich mit jeglicher Form von Systemen (Huschke-Rhein, 1998, S. 202). Daraus ergibt sich auch, dass nichts bezeichnet werden kann, ohne dass das Ausgeschlossene mitschwingt. So kann bei systemtheoretischem Hintergrund nicht von einem Objekt gesprochen werden, sondern immer von Unterscheidung. Diese Unterscheidung ist kein gegebener Sachverhalt, sondern wird immer von einem Beobachter durchgeführt. Auch ein System ist kein einfacher Sachverhalt, sondern entsteht erst, weil es in Differenz zur Umwelt unterschieden worden ist. Dies gilt auf gleiche Weise andersherum, es entsteht nicht zunächst eine Umwelt, auf deren Beschaffenheit sich Systeme konstituieren. Auch Umwelt entsteht nur in Bezug zu einem System. Psychische, lebende und soziale Systeme sind füreinander Umwelt (Lehnert, 2006, S. 21f). In einem kommunizierenden System „Seminarteilnehmer“ bedeutet dies zum Beispiel, dass die daran beteiligten Personen wiederum Umwelt sind, da sie auf der Basis des eigenen psychischen Systems handeln. Ebenso sind alle anderen für das Seminarsystem relevanten Systeme Umwelt, wie zum Beispiel die Bildungseinrichtung. Die Bezeichnung von System und Umwelt ist beobachterabhängig. Jedes System kann Umwelt eines anderen Systems sein, je nach Systemreferenz. Das erschwert die Bezeichnung von Subjekt und Objekt. Umwelt ist immer komplexer als ein System, somit müssen soziale Systeme die Aufmerksamkeit auf systemspezifisch Sinnvolles begrenzen. So ist für ein Wirtschaftsunternehmen nur die Umwelt interessant, welches dem Unternehmenswachstum dient, ein Liebespaar fokussiert sich auf etwas im Hinblick auf Beziehung Erhaltendes oder Bereicherndes (Lehnert, 2006, S. 23f).

Wie eben schon angedeutet, wird dem Beobachter eine erhebliche Bedeutung beigemessen. Grundlegende Prämisse hier ist, dass ein Beobachter nicht die Welt beobachtet, sondern das Ergebnis seiner Beobachtung (Groth, 1999, S. 45). Der Beobachter selbst stellt wiederum ein eigenes System dar und ist Teil eines Systems. Wenn ein Beobachter beobachtet, also eine Unterscheidung vornimmt, basiert diese Unterscheidung auf der Basis der eigenen Struktur. Ein Beobachter kann die eigene Unterscheidung nicht beobachten, es besteht immer ein blinder Fleck. Er kann nur sehen, was er mit der vorgenommenen Unterscheidung sehen kann. Die Beobachtung kann jedoch von einem weiteren Beobachter beobachtet werden, wieder mit der selben Einschränkung der Nichtbeobachbarkeit der eigenen Beobachtung. Diese Beobachtungsbeobachtung nennt Luhmann Beobachtung zweiter Ordnung. Daraus ergibt sich, dass es keine vollkommen objektive Sicht der Dinge geben kann, da immer ein blinder Fleck bestehen bleibt (Schuldt, 2003, S 53ff). Es muss zwar von einer Realität ausgegangen werden, sonst gäbe es nicht die Möglichkeit zur Unterscheidung. Doch wie sich diese Realität zeigt, hängt immer von dem System verwendeten Unterscheidungsschema ab (Lehnert, 2006, S. 31f).

Operative Geschlossenheit, Autopoiesis und Offenheit

Eine relevante Umwelt eines psychischen Systems, also von Bewusstheit, ist zum Beispiel das biologische System Gehirn. Dieses ist für das Funktionieren des psychischen Systems unentbehrlich, funktioniert aber trotzdem autonom. Es ist unmöglich, von Gehirnprozessen auf Gedanken zu schließen oder in ein fremdes Bewusstsein hineinzuschauen (Schuldt, 2003, S. 29f). Psychische Systeme denken, was sie denken, Kommunikation, also soziale Systeme, kommunizieren, und das Leben lebt sein Leben, ohne dass sie in die jeweils anderen Systeme direkt involviert sind vollziehen sie ihre eigenen Operationen. Jedoch bedeutet dies nicht, dass Systeme nichts miteinander zu tun haben, im Gegenteil. Systeme reagieren auf Störungen und Irritationen ihrer Umwelt gemäß ihrer eigenen Strukturen. So kann eine Störung eines biologischen Systems ein psychisches System irritieren, welches wiederum ein soziales System irritiert (Lehnert, 2006, s. 17f). Beispiel: Eine Störung des Verdauungstrakts (biologisches System) erregt die Aufmerksamkeit (Bewusstheit) des Kindes (psychisches System), welches sich wiederum durch Schreien (Kommunikation) die Aufmerksamkeit der Eltern (soziales System Familie) verschafft. Dieses Beispiel ist natürlich stark vereinfacht. Das Zusammenspiel der einzelnen Systeme ist weitaus komplexer. So ist das Schreien, also die Kommunikation, genau betrachtet nur ein physiologischer Vorgang des biologischen Systems, der durch das psychische System angeregt wurde.

Systeme sind also offen für Einwirkungen von außen. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass dieser Umweltkontakt eigenmächtig gesteuert wird. Systeme sind autonom, aber nicht autark. Die Eigenmächtigkeit, oder die Entscheidung mit der Umwelt in Kontakt zu treten, basiert auf Operationen, die innerhalb geschehen. Diese Selbstorganisation und Unabhängigkeit nach außen wird Autopoiesis genannt. Ein System arbeitet hier immer selbstreferenziell, bezieht sich also immer auf sich selbst (Schuldt, 2003, S. 24f).

Luhmanns Konfliktdefinition: Erwartung und Kommunikation

Das prozessierende Element eines sozialen Systems, welches das System am Leben erhält, ist Kommunikation. Luhmann beschränkt und präzisiert den Konfliktbegriff auf dieses Element. Völlig außer Acht gelassen sind hier der Inhalt und die Begleitumstände.

„Von Konflikten wollen wir immer dann sprechen, wenn einer Kommunikation widersprochen wird. Man könnte auch formulieren: wenn ein Widerspruch kommuniziert wird. Ein Konflikt ist die operative Verselbstständigung von Kommunikation. Ein Konflikt liegt also nur dann vor, wenn Erwartungen kommuniziert werden und das Nichtakzeptieren der Kommunikation zurückkommuniziert wird“ (Luhmann, 1984, S. 530).

Der Schlüsselbegriff in dieser Definition ist die nicht eingetroffene Erwartung. Es herrscht also eine Spannung zwischen dem Ist-Zustand und dem gewünschten Zustand. Erst diese Disharmonie führt zum Konflikt. Dies bedeutet auch, dass es nicht zu einem Konflikt kommen kann, wenn keine Erwartungen vorhanden sind. Somit hängt ein Konflikt immer mit den eigenen Erwartungen und somit auch Werten, moralischen Standards und Ansprüchen zusammen.

Jeder Konflikt bildet ein eigenes soziales Subsystem, demnach agiert jedes Konfliktsystem nach denselben Regeln wie alle anderen Systeme auch. Hat sich ein Konfliktsystem erst mal gebildet, dreht sich die Erwartungshaltung um. Ein gegenseitiges Widersprechen wird also erwartet und so führt das Konfliktsystem ihre Autopoiesis fort. Umwelt wird von etablierten Konflikten hinsichtlich eines möglichen Nutzens, den Konflikt fortzuführen, beobachtet (Lehnert, 2006, S. 56f). Aussagen zum Konfliktverlauf oder einer möglichen Deeskalation lassen sich bei Luhmann leider nicht finden. Doch einige Schlüsse lassen sich ziehen. Demnach muss mindestens eine Konfliktpartei die eigene Beobachtung beobachten, um die ständige Fortführung des Konfliktsystems zu durchbrechen. Wobei natürlich zu beachten ist, dass ein blinder Fleck immer bestehen bleibt. Hieraus ergibt sich, dass eine externe Vermittlung, also ein Beobachter zweiter Ordnung, hilfreich ist, da der blinde Fleck etwas verkleinert werden kann.

Fazit und Handlungskonsequenzen für die Seminararbeit

Auf den ersten Blick wirkt die Systemtheorie sehr statisch. Bei näherer Betrachtung erlaubt sie jedoch eine ungeheure Dynamik und Komplexität. Für die Betrachtung und Bearbeitung von Konflikten lassen sich von ihr einige Rückschlüsse ziehen. Die Bedeutung von Erwartungen ist hier ein zentrales Thema. Um Transparenz in einen Konflikt zu bringen oder eine Atmosphäre zu schaffen, die eine konstruktive Konfliktbearbeitung zulässt, erscheint es sinnvoll, dass eine Führungskraft die eigenen Erwartungen an die Mitarbeiter deutlich macht. Ebenso wäre es für die Führungskraft hilfreich, die Erwartungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die eigene Person zu kennen. In dem Kontext ist natürlich zu beachten, dass allein die Kommunikation der Erwartungen bereits Konflikte auslösen kann. Diese sollten als Einladung verstanden werden, um die gegenseitigen Erwartungshaltungen zu klären. Wichtig ist, die eigenen Erwartungen zu kennen, sie auf ihre Angemessenheit zu überprüfen und artikulieren zu können. Die Erwartungen können basieren auf Vorgaben von einer höheren Hierarchieebene, sowie auf den eigenen moralischen Standards und Werten. Um den Kreislauf eines Konfliktsystems zu durchbrechen, muss ein Teilnehmer in Beobachtung zweiter Ordnung gehen. Hier stellt sich die Frage, wie man sich daran erinnert, in die Beobachterposition zu gehen. Aber auch hier gilt zu beachten, es besteht immer ein blinder Fleck, der zwar verkleinert werden kann, jedoch niemals verschwindet. Der blinde Fleck verdeutlicht, dass insbesondere in eskalierten Fällen Hilfe von außen, z.B durch Mediation, sehr hilfreich sein kann. Die blinden Flecken, sowie die unterschiedliche Wahrnehmung der Realität, müssen im Seminar in den Methoden beachtet werden. Eine Vermittlung der Theorie halte ich aufgrund der Komplexität für nicht angemessen. Die Inhalte sind jedoch sehr nützlich, um sie durch aktive Methoden erfahrbar zu machen.

Quellen:

Groth, T. (1999). Wie systemtheoretisch ist „Systemische Organisationsberatung“? (2. Auflage). Münster: Lit.

Hohm, H.-J. (2000). Soziale Systeme, Kommunikation, Mensch. Eine Einführung in die soziologische Systemtheorie. Weinheim & München: Juventa.

Huschke-Rhein, R. (1998). Systemische Erziehungswissenschaft. Pädagogik als Beratungswissenschaft. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Lehnert, M. (2006). Gibt es Konflikte? Eine systemtheoretische Beobachtung. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.

Luhmann, N. (1984). Soziale System: Grundriß einer allgmeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Schuldt, C. (2003). Systemtheorie. Hamburg: Sabine Groenewold Verlage.

*Triviale Systeme wie Maschinen ausgenommen.